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Lange Sätze? Ja, bitte – aber nur mit der 3-Sekunden-Regel

Aktualisiert: 4. Aug. 2023

Kurze Sätze sind besser als lange, stimmt’s?

Denn nach fünfzehn Wörtern hängen die meisten Leute ab und wer es wagt, einen Satz von mehr als dreissig Wörtern zu schreiben, der ist von gestern und hat nicht verstanden, dass der moderne Mensch die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfisches hat – also höchstens ein paar Sekunden, was nicht reicht, um einen längeren Satz zu erfassen.

(Sie haben gerade einen Satz von 53 Wörtern gelesen.)


So wird es einem in Schreibkursen beigebracht und so steht es in unzähligen Blogs der Textprofis. Aber stimmt es auch? Wolf Schneider, «Deutschpapst» und lange Jahre Leiter einer renommierten Journalistenschule, sagte: Kurze Sätze garantieren für gar nichts. Denn auch sie könne man miserabel bauen.


«Vor vor dem Rathaus unbefugt abgestellten Kraftfahrzeugen wird gewarnt.»


Dieser Satz ist kurz – und scheusslich. Denn man muss mehrmals an den Anfang zurück und sich den Sinn mühsam zusammenbuchstabieren. Es geht also nicht um Länge, sondern um Verständlichkeit. Und die erreicht man problemlos, wenn man die 3-Sekunden-Regel beachtet – auch bei langen Sätzen.


Hinter der 3-Sekunden-Regel steckt laut Wolf Schneider Folgendes:


Für unser Bewusstsein ist die Gegenwart ein Fenster, das sich jeweils für zwei bis drei Sekunden öffnet. Was zwei Sekunden dauert, empfinden wir als zusammenhängend. Was drei Sekunden überschreitet, nicht mehr. In einem Satz muss man also innert drei Sekunden erkennen können, was zusammengehört. Drei Sekunden – das sind sechs Wörter oder zwölf Silben.


Doch wie schaffen Sie es, eine gedankliche Einheit in sechs Wörtern oder zwölf Silben abzubilden? Ganz einfach. Indem Sie:



1. … keine Nebensätze in den Hauptsatz schieben.


Also nicht: «Die Firma hat gemäss Jahresbericht, der dieses Jahr zum ersten Mal von einer externen Textagentur verfasst und dem Vorstand nur noch zum Abnicken vorgelegt worden ist, einen Verlust eingefahren.»


Sondern: «Die Firma hat einen Verlust eingefahren, was im Jahresbericht steht, der dieses Jahr von einer externen Textagentur … »




2. … Artikel und Substantiv aneinanderschieben, also keine Attribute voranstellen.


Also nicht: «Der dieses Jahr zum ersten Mal von einer externen Textagentur verfasste und vom Vorstand nur noch abgenickte Jahresbericht …. »


Sondern: «Der Jahresbericht, der dieses Jahr zum ersten Mal …»




3. … die beiden Hälften eines mehrteiligen Verbs zusammenschieben.


Also nicht (jetzt kommt ein echtes Beispiel, von einem Journalisten so verfasst und in der Zeitung abgedruckt, zitiert nach Wolf Schneider):


«In und um München wird sich die Süddeutsche Zeitung künftig auf den für ihre Leserschaft und den Anzeigenmarkt massgeblichen Wirtschaftsraum mit seinem Grossstadtpublikum und den nach München orientierten Berufs-, Einkaufs- und Freizeitpendlern in den Landkreisen München, Dachau, Fürstenfeldbruck, Starnberg, Ebersberg sowie Teilen der Landkreise Freising, Erding und Wolfratshausen konzentrieren


Sondern: «Die Süddeutsche Zeitung wird sich auf den Wirtschaftsraum konzentrieren, der …»


Aber warum braucht es überhaupt lange Sätze, wenn sie einen sowieso nur dazu verleiten, unverständlich zu schreiben? Na, darum: Bestünde Ihr Text ausschliesslich aus kurzen, klänge es, als würden Sie mit Asthma die Treppe hochsteigen und dabei versuchen, einen Vortrag zu halten.


«Die Geschäftsleitung hat getagt. Der Jahresbericht wurde verabschiedet. Rezessionsbedingt wurde ein Verlust eingefahren. Nächstes Jahr wird mit Gewinn gerechnet.»


Auch nicht besonders schön, oder?



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