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AutorenbildJelena Martinelli

Geben Sie dem Leser Heroin: Texteinstiege, die funktionieren

Aktualisiert: 20. Mai 2022

Wladimir Putin, Elon Musk und Roger Köppel kommen in eine Bar. Sagt Köppel zu Elon Musk: …


Ich sage es Ihnen gleich: Ich habe keine Ahnung, was er sagt. Mit diesem Einstieg wollte ich Sie lediglich in den Text hineinziehen. Aber zum Glück sind Geschichten rund um die Weltpolitik hier nicht das Thema – denn eigentlich wollten Sie ja wissen, wie man gute Texteinstiege schreibt, richtig?


Womit wir schon in medias res wären: Ein Witz, wenn er gelingt, ist ein super Einstieg. Denn mehr noch als eine einfache Geschichte fesselt die Leute die Aussicht, durch eine Pointe zum Lachen gebracht zu werden. Warum? Bei einem Lachanfall werden Glückshormone in Form von Endorphinen und Dopamin ausgeschüttet – besser als das ist eigentlich nur ein Schuss Heroin. Der Leser bleibt bei Ihnen, voller Hoffnung, dass Sie ihm gleich einen kleinen Rausch verpassen werden.


Einen guten Texteinstieg zu schreiben, ist der Mühe wert, selbst wenn Sie sich dafür quälen müssen. Denn wenn der Anfang nicht reinhaut, ist der Leser weg und der Rest Ihres Textes für die Tonne; völlig Wurst, wie brillant, value-adding oder laserscharf auf Ihre Zielgruppe zugeschnitten er ist. Ob nun die viel gescholtene Verkürzung der Aufmerksamkeitsspanne des durchschnittlichen Social-Media-Nutzers am schnellen Absprung schuld ist oder einfach die Tatsache, dass die Schreiber-Konkurrenz in den Weiten des Netzes nicht schläft und bessere Texteinstiege zu bieten hat – jammern nützt nichts. Aber vielleicht die folgenden drei Tipps.


Schockieren



«Read this you piece of shit.” So ein Satz und Sie stehen im Scheinwerferlicht. Aber Achtung: Schockieren nur um des Schocks willen funktioniert nicht. Zumindest nicht, wenn der Leser Ihrem Text etwas Positives abgewinnen soll. Der Schock gelingt nur, wenn er den Leser einerseits wachrüttelt, aber gleichzeitig Ihr Anliegen untermauert. «Read this you piece of shit» war der Einstieg in eine Kampagne von Anti-Slavery International; die Kampagne wollte auf die noch immer weit verbreitete Sklaverei aufmerksam machen. Entsprechend ging der Text weiter: «Sollten Sie sich von dieser Anzeige gekränkt fühlen, dann mit Recht. Niemand sollte so behandelt werden. Aber leider geht es immer noch Millionen von Menschen auf der ganzen Welt so.»

Sollten Sie nicht schockieren wollen oder können, dann versuchen Sie es stattdessen mit einer einfachen Provokation. Die ist nicht so heftig wie ein Schock und unter Umständen sogar zielführender. Ein Beispiel: «Wir pfeifen auf Nachhaltigkeit.» Für eine Airline möglicherweise eher ungeeignet als Einstieg, aber wenn Sie ein Blockflötenhersteller sind, der seine Flöten aus regionalem, konsequent nachgeforstetem, ungebleichtem Ahornholz mit neutraler CO2-Bilanz schnitzt, und Sie Ihren Blogtext mit so einem Statement beginnen, dann haben Sie den Leser ziemlich sicher in Ihren Text gezogen. Und einen Moment später auf Ihre Seite – denn mit der Doppeldeutigkeit der Botschaft aktivieren Sie das Belohnungszentrum in seinem Gehirn (es macht Aha!) und lösen einen kleinen Rausch aus. Ihr Leser grinst selig und bestellt vielleicht sogar eine Blockflöte.


Fragen


Na, haben Sie heute schon jemandem eine Frage gestellt? Oder stattdessen Ihr Gegenüber lieber mit Informationen zubetoniert? Was glauben Sie, was eher das das Denken anregt, eine Aussage oder eine Frage? Ein gelungener Einstieg sollte beim Leser einen Denkprozess in Gang setzen, der ihn in den Text hineinzieht. Während eine Aussage uns vor vollendete Tatsachen stellt, tut eine Frage genau das Gegenteil: Sie lässt uns partizipieren und uns für ein Thema öffnen. Bei einer Quizshow wie «Wer wird Millionär?» raten Sie auch von zu Hause aus freiwillig mit, selbst wenn Sie keine Million gewinnen können. Einfach, weil es Spass macht, zu denken. Und jedes Mal, wenn Sie die Antwort gewusst haben, wird das Belohnungszentrum in Ihrem Gehirn aktiviert; sie erleben ein Räuschchen und mussten dafür nicht einmal zum Dealer um die Ecke. Wieso also Ihren Lesern nicht den gleichen Spass gönnen?


Eine Geschichte erzählen


Um auf Putin, Musk und Köppel zurückzukommen: Ich finde schon, dass man einen Text mit einem Witz beginnen kann. Wenn er gut ist und zum Thema passt – wieso nicht. Sollten Sie jedoch nicht so der Witzereisser sein: Erzählen Sie eine Geschichte. Denn ein Witz ist auch nur eine Geschichte mit einer besonderen Pointe.


Geschichten sind mächtig: Sie setzen unser Gehirn viel mehr in Gang als Zahlen, Daten und Fakten. Harvard-Professor und Mitbegründer der kognitiven Psychologie Jerome Brunner meinte sogar, dass sich Menschen Geschichten bis zu 22-mal besser merken würden als pure Fakten. Während wir einfache Fakten in den für die Sprache zuständigen Regionen unseres Gehirns verarbeiten, aktivieren Geschichten unser Emotionszentrum und lassen unseren Blutdruck steigen, wenn in einem Thriller der Mörder das Opfer verfolgt oder sich in einer Liebesschnulze die Protagonisten endlich küssen. Wissenschaftler konnten den Anstieg der Hormone Cortisol und Oxytocin im Blut von Probanden nachweisen, die sich eine besonders emotionale Geschichte angesehen hatten – Cortisol weist auf Stress hin, während Oxytocin mit Empathie und Liebe in Verbindung gebracht wird.


Wir reagieren also tatsächlich körperlich auf Geschichten – was sich von einer Excel-Tabelle nicht behaupten lässt. Deshalb: Ihren Text mit einer Erzählung zu beginnen, ist in jedem Fall eine gute Idee. Je emotionaler, desto besser.



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