Warum lässt das Fernsehen Sie nicht vorspulen und zwingt Sie geradezu, sich eine (völlig bescheuerte) Werbung anzuschauen? Weshalb kaufen Sie immer die gleichen Frühstücksflocken – die Cornflakes von Kellog’s – obwohl im Coop-Regal dutzende Marken zur Auswahl stehen? Und wieso finden Sie einen Taylor-Swift-Song plötzlich «no ganz guet»?
Bestimmt kennen Sie die folgende Situation:
Sie sind an einem Apéro, zum Beispiel nach einem Vortrag oder einer Lesung. Sie kennen niemanden. Alleine stehen Sie mit Ihrem Weissweinglas inmitten von Menschen, die sich angeregt unterhalten. Etwas verloren schauen Sie sich um.
Plötzlich entdecken Sie in der Menge ein vertrautes Gesicht – den Mann, der jeden Morgen an der gleichen Haltstelle wie Sie auf den Bus wartet.
Auch ihn kennen Sie nicht, denn Sie haben noch nie ein Wort mit ihm gewechselt. Eher haben Sie ihn während der morgendlichen Warterei aktiv ignoriert und auf Ihr Handy gestarrt (wer will schon vor dem ersten Kaffee eine Unterhaltung führen müssen?).
Doch was tun Sie jetzt, einsam und verlassen an einem Apéro unter lauter Fremden? Wie von selbst setzt sich Ihr Köper in Gang – schnurstracks marschieren Sie auf den Typen zu, tippen ihm auf die Schulter und strahlen ihn an: «Wenn das kein Zufall ist – Sie auch hier?»
«Das gibt’s doch nicht!», strahlt der Unbekannte zurück, während er an seiner Cola nippt und zum Song von Taylor Swift mitwippt, der gerade im Hintergrund läuft.
«Guter Song, nicht wahr?» sagen Sie, den Finger zur Decke gerichtet.
Mere-Exposure-Effect – warum wir Dinge mögen, die wir oft sehen oder hören
Der Mann von der Bushaltestelle, Coca-Cola, Taylor Swift und Frühstücksflocken – was hat das alles miteinander zu tun?
Beginnen wir bei den Frühstücksflocken: Wenn Sie einkaufen gehen, stehen Sie jedes Mal vor einem Regal mit ein und demselben Produkt, das sich Ihnen allerdings in zehn- oder zwanzigfacher Ausführung präsentiert.
So gibt’s Ihr Müesli von Kellog’s, aber auch von Alnatura oder von familia – wie entscheiden Sie sich für eine der Varianten, ohne stundenlang jede einzelne Verpackung studieren zu müssen?
Am ehesten wählen Sie jene Marke, die Ihnen irgendwie bekannt vorkommt. Das ist vermutlich jene, die Sie schon ein paarmal in einer Werbung gesehen haben.
Warum tun Sie das? Weil Sie das, was Sie schon oft gesehen haben, eher positiv bewerten. Es kommt Ihnen vertraut vor – und Vertrautheit ist stets besser als das Unbekannte. Also entscheiden Sie sich dafür, egal, ob es sich dabei um ein Produkt, eine Dienstleistung, eine Idee oder eine Person (der Typ von der Bushaltestelle) handelt. Sie müssen sich nicht einmal näher damit auseinandergesetzt haben – es mehrmals gesehen oder gehört zu haben, reicht.
Der neuste Song von Taylor Swift, der die Charts anführt? Beim ersten Mal haben Sie wahrscheinlich nicht ganz nachvollziehen können, warum so viel Wind darum gemacht wird. Nach dem zehnten Mal haben Sie vermutlich vergnügt mitgesummt.
Fachleute nennen dieses Phänomen den Mere-Exposure-Effect (deutsch: der Effekt des blossen Kontakts).
Entdeckt und beschrieben wurde das Phänomen im Jahr 1968 von Robert Zajonc, einem US-amerikanischen Psychologen und Standford-Dozenten. Eine Erklärung dafür findet sich laut Zajonc in der Evolutionspsychologie – Menschen sind von Natur aus vorsichtig gegenüber neuen Dingen (was, wenn es gefährlich ist?). Aber je öfter wir etwas sehen, desto mehr mögen wir es und schenken der Sache Vertrauen.
Grosse Unternehmen wissen um den Mere-Exposure-Effekt und setzten ihn gezielt in der Werbung ein. Coca-Cola zum Beispiel gibt jedes Jahr durchschnittlich 4 Milliarden US-Dollar dafür aus, Ihnen das Getränk unter die Nase zu reiben, ob in der Fernsehwerbung, auf Strassenplakaten oder in Ihrem Social-Media-Feed.
Und das Fernsehen oder Youtube, die Sie einen Werbespot partout nicht überspulen lassen? Auch diese Leute sind nicht blöd. Im Gegenteil, sie wissen: Als Konsument müssen Sie nicht einmal bewusst hinsehen – ein blosser Kontakt mit der Werbung, also ein Mere Exposure, reicht, um die Vertrautheit mit einer Marke zu steigern und damit Ihre Kaufabsicht.
Was bedeutet das für Sie und Ihr Geschäft?
Vermutlich haben Sie keine 4 Milliarden Dollar, um sie jedes Jahr für Werbung rauszuhauen. Damit hat sich’s aber auch schon mit den Unterschieden zwischen Ihnen und Coca-Cola.
Denn auch für Sie gilt:
Je häufiger potenzielle Kunden Ihrer Marke begegnen, indem Sie etwa den Namen Ihres Geschäfts oder Ihr Logo sehen, Bewertungen über Sie auf Google oder Ihre Blogartikel lesen, desto vertrauter werden sie damit.
Wenn ein möglicher Kunde dann schliesslich überlegt, ein Produkt oder eine Dienstleistung wie die Ihre zu kaufen, wird er unbewusst die Marke bevorzugen, die er am häufigsten gesehen hat.
Deshalb sollten Sie sich und Ihre Marke oft und an unterschiedlichen Orten zeigen:
Nutzen Sie zum Beispiel Ihre diversen Social-Media-Kanäle, über die Sie entweder Ihre Blogartikel in ganzer Länge darbieten (LinkedIn) oder aufbereitet in kleinen, visuellen Häppchen (Instagram).
Haben Sie einen Newsletter, der aber leider nur tröpfchenweise kommt, und zwar immer dann, wenn Sie (endlich) Zeit dafür finden? Also alle Schaltjahre wieder? Sorgen Sie dafür, dass er öfter und regelmässig erscheint. E-Mail ist nämlich nach wie vor einer der effektivsten Marketing-Kanäle, und selbst wenn die Empfänger nicht immer Zeit haben, Ihre Sachen zu lesen – Ihr Name taucht zusammen mit einem spannenden Betreff in den Inboxen der Leute auf. Mere Exposure par excellence.
Mal zwischendurch eine Publireportage in einer ausgesuchten Fachzeitschrift zu schalten, die Ihre Zielgruppe anspricht, ist auch kein Seich.
Nutzen Sie Nischenkanäle, die zum Beispiel Podcaster oder Blogger Ihrer Region oder Branche einem kleinen, aber interessierten Publikum bieten – diese Beiträge können Sie dann auf Ihren Social-Media-Kanälen verbreiten. Damit gewinnen Sie doppelt.
Was auch immer Sie tun, es ist in jedem Fall eine gute Idee, viele verschiedene Berührungspunkte mit Ihrer Marke zu schaffen. Sollten Sie es hinbekommen, dass jemand Ihrer Marke einen Song widmet – zum Beispiel Taylor Swift –, umso besser. Zu den visuellen Kanälen kommt so ein auditiver hinzu und Sie maximieren Ihren Mere-Exposure-Effekt.
(Vermutlich würde Taylor Swift das sogar tun. Aber dafür bräuchten Sie ziemlich sicher 4 Milliarden Dollar.)
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