Es gibt Sätze, die gehören verboten. Etwa der folgende: «Totalitäre Eingriffe in Sprache müssen, gerade wenn sie von einer Minderheit aus ideologischen Gründen verordnet werden sollen, in der Absicht, über die Macht der Sprache die Macht über die Menschen zu bekommen, unter allen Umständen verboten werden.»
Jedoch nicht wegen des Inhalts. Das Problem ist vielmehr, dass der Satz miserabel geschrieben ist. Er ist dermassen verschachtelt, dass man mindestens dreimal vor und zurück lesen muss, um ihn zu verstehen. Bei «totalitäre Eingriffe in Sprache» stürzt man sich noch mit Schwung hinein. Doch dann merkt man, dass man sich auf einem sprachlichen Hürdenlauf befindet, bei dem jeder Nebensatz einen ausbremst wie hüfthohe Barrieren auf einer Tartanbahn.
Ausnahmsweise geht es in diesem Blogpost aber nicht um schlechten Schreibstil. Sondern um das Thema, das der Schreiber in seinem Leserbrief an die NZZ aufgreift:
«Dieser Genderwahn ist die Ausgeburt von linksideologischen Menschenfängern.
Cancel Culture, Antidiskriminierung, antifaschistischer Aktionismus und natürlich Klima-Aktivismus und apokalyptische Schreckensszenarien gehören ebenfalls in die totalitäre Zauberkiste der neuen totalitären Linken.»
Es geht also um geschlechtergerechte Sprache (einigen wir uns darauf) oder kurz: Gendersprache.
Unter uns: Für mich klingt obiger Erguss, als hätte jemand seine Medikamente vergessen zu nehmen – oder überdosiert, weil ihn Angstzustände plagen, hervorgerufen von der Vorstellung, dass er demnächst im femininen Generikum, pardon, generischen Femininum mitgemeint und zum Hissen einer Regenbogenfahne verpflichtet sein wird und ihm als Ausweg nur noch bleibt, nach Russland auszuwandern. Hätte er wegen der Risiken und Nebenwirkungen doch nur seine Ärztin oder Apothekerin konsultiert. Dann wären der Welt Sätze wie diese vielleicht erspart geblieben.
Doch lassen wir die vom Genderwahn Verfolgten. Obwohl – ich muss mich neuerdings selbst dazuzählen. Denn kürzlich wurde mir von mehreren Seiten nahegelegt, ich hätte in einem meiner Texte den Doppelpunkt im Wort «Assistentin» vergessen; korrekt hiesse es nämlich «Assistent:in». Ich hatte mich zwar bewusst dafür entschieden, keine sprachlichen potemkinschen Dörfer zu bauen (denn ehrlich jetzt: wie viele Männer in einer Assistenzfunktion kennen Sie?). Aber das schien meine Kritikerinnen nicht zu kümmern. Es scheint, als habe man zu gendern – egal, ob es im konkreten Kontext Sinn macht oder nicht. Die Diktator*innen dieser Welt freut’s sicher.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Klar haben Männer das Zeug dazu, zu assistieren, sowie Frauen fähig sind, diktatorisch zu herrschen – ich weiss das, schliesslich habe ich selbst mal eine Abteilung geleitet. Doch die Realität ist oft eine andere. So würde ich «Verwaltungsrät*innen» schreiben; wäre die Schweiz nicht europäisches Schlusslicht in Sachen Frauenanteil in den obersten Verwaltungsgremien von Firmen. Meiner Meinung nach wäre den Frauen ein Bärendienst erwiesen, täte man sprachlich so, als seien sie zu gleichen Teilen repräsentiert – was ja ein Konstrukt wie «Verwaltungrät*innen» implizieren würde. Von den non-binären und Trans-Personen, um die es beim * vor allem geht, ganz zu schweigen.
Doch einmal ganz abgesehen von der inhaltlichen Diskussion: Formulierungen mit Genderstern, Doppel- und Mediopunkt oder Gender-Gap sind grammatikalisch problematisch – denn was tun Sie, wenn Sie das typografisch gegenderte Nomen mit einem Pronomen wiederaufnehmen müssen? «Wir suchen ein*e zuverlässige*r Assistent*in, die (oder der?) einwandfrei Deutsch spricht»?
Und was ist hiermit: Die Ärzt_in oder die Arzt_in? Bäuer:in oder Bauer:in?
Was, wenn Sie mal deklinieren müssen: «Wir gratulieren den Kolleg*innen zum Teamerfolg.» Soll das Ziel der gendergerechten Sprache die Inklusion sein, dann könnten sich die Männer mit Recht ausgeschlossen fühlen: Mit «Kolleg» bleibt nämlich ein Wortstummel zurück, der keinen Sinn macht und sie schon gar nicht repräsentiert. Ausserdem: Gemäss der heutigen offiziellen Rechtschreibung ist der Einsatz von typografischen Mitteln anstelle von Buchstaben schlicht falsch. Wären Sie in der Schule, gäb's einen Nagel.
Auf der anderen Seite muss man sagen: Scrabble, das berühmte Wörter-Brettspiel, hat kürzlich den Spielstein mit der Aufschrift *IN eingeführt, begleitet von der werbewirksamen Botschaft: «Die Regeln haben sich gegendert. Der Stein des Anstosses für eine gerechtere Sprache.» Auch die Zürcher Stadtverwaltung erlaubt neuerdings das *-Symbol in ihren Texten. Und kaum ein Post auf Social Media ohne Genderdoppelpunkt. Es ist daher vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis sich die Sternchen und Striche durchgesetzt haben.
Allerdings: Von Sprache Gerechtigkeit zu wollen ist fast so, als würde man sie vom Justizsystem erwarten – wobei dort nach wie vor nüchtern von «Rechtsprechung» die Rede ist. Und nicht von «Gerechtsprechung».
So. Doch wie gendert man nun richtig? Gemäss der Gesellschaft für deutsche Sprache sollten geschlechtergerechte Texte nicht anders sein als Texte im Allgemeinen. Unter anderem nämlich:
- Verständlich
- Lesbar
- Vorlesbar
- Grammatisch korrekt
Also nicht, wie es in der TAZ stand: «… nichts rechtfertigt die Gewalt, die Jüdinnen_Juden derzeit aushalten müssen. Um dies zu kritisieren, muss man kein_e Nahost-Expert_in sein.»
Sondern: «… nichts rechtfertigt die Gewalt, die Jüdinnen und Juden derzeit aushalten müssen. Um dies zu kritisieren, muss man sich nicht in Nahost auskennen.» Zum Beispiel. Denn nichts rechtfertigt meiner Meinung nach, das sensible Thema des Artikels dafür zu missbrauchen, auf Teufel komm raus zu gendern. Und damit vom Inhalt abzulenken.
Zur Aufzählung der GfdS möchte ich noch eines hinzufügen: Sprache, besonders der geschriebenen, tut Ökonomie gut. Niemand will überlange, komplizierte Sätze lesen, die sich anfühlen, als stolpere man über jedes Wort wie ein betrunkener Hürdenläufer – womit wir wieder beim Einleitungssatz dieses Blogartikels wären.
Oder, um diesen letzten Grundsatz mit Winston Churchill zu paraphrasieren (nein, ausnahmsweise nicht mit George Orwell): «Ein Text sollte wie ein Frauenrock sein. Kurz genug, um Aufmerksamkeit zu erregen, lang genug, um das Wichtigste abzudecken.»
Wer nun wissen möchte, wie sich kreativ und obendrein korrekt gendern lässt, findet hier Inspiration:
Gesellschaft für deutsche Sprache:
Schweizerische Bundeskanzlei:
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