Dass Corona die Welt in Atem hält, brauche ich Ihnen nicht zu erzählen. Überhaupt: Was soll das heissen, jemanden in Atem halten? Halte ich einen Menschen so nahe bei mir, dass er meinen Atem riecht? Tue ich etwas so Spektakuläres, dass die Leute vor Spannung die Luft anhalten? Bin ich ein Menschenschinder von Chef, der andere dermassen mit Arbeit eindeckt, dass diese kaum Luft holen können, geschweige denn es auf die Toilette schaffen?
Wie auch immer die Antwort lautet: Wäre ich jetzt nicht auf diesem Punkt herumgeritten, hätten Sie den Ausdruck in Atem halten etwa so zur Kenntnis genommen wie jemanden, mit dem Sie seit Ewigkeiten verheiratet sind – am Anfang ungewöhnlich und interessant, verschwimmen jetzt seine Konturen mit der Wohnzimmertapete, so dass Sie ihn kaum noch wahrnehmen und, ohne es zu wollen, einfach an ihm vorbeispazieren. So werden denn auch diese endlos wiederholten, bis zum kompletten Geschmacksverlust totgelutschten Phrasen wie in Atem halten langweilig und man wünscht sich etwas Neues, Frisches…
Aber eigentlich wollte ich Ihnen etwas ganz anderes erzählen.
Waren Sie kürzlich vielleicht an einem dieser Online-Tresen beim Bier und sind mit dem Menschen am anderen Ende der Datenleitung in Streit darüber geraten, wie es denn jetzt nun richtig heisse: Das oder der Virus? Und konnten nur knapp und physical distancing sei Dank einer Schlägerei entkommen?
Es fällt mir nicht leicht, Ihnen das zu sagen, weil ich weiss, dass Sie sich zu hundert Prozent sicher waren: Aber Sie und Ihre Trinkkumpanin hatten beide recht.
Das Wort, wie so viele andere auch mit der Endung -us, stammt aus dem Lateinischen. Ungewöhnlich daran ist jedoch, dass es in dieser seiner ursprünglichen lateinischen Form ein neutrales Genus hat – wo wir doch im Lateinunterricht gelernt haben, dass die Endung -us eindeutig auf das männliche Geschlecht hinweist. Noch skurriler ist, dass das Wort im klassischen Latein keinen Plural hat. Der Plural vira taucht erst im Neulateinischen auf – und den Plural auf -a bilden, wie wir alle wissen, sächliche Wörter.
Sind Sie noch da?
Jedenfalls: Mit der medizinischen Bedeutung des Begriffs «kleinstes krankheitserregendes Partikel, das sich nur in lebendem Gewebe entwickelt» wird das sächliche Genus von Virus ins Deutsche übernommen – deshalb sagen wir das Virus.
Aber Achtung jetzt, freuen Sie sich nicht zu früh, sollten Sie während Ihres bierseligen Online-Disputs auf dem Neutrum bestanden haben: Da die Endung -us halt eben doch meistens mit dem Maskulinum in Verbindung gebracht wird, ist auch der Virus gebräuchlich geworden. Irgendwann hat man jedoch beschlossen, Ordnung zu schaffen und verfügt: Wenn Virus im medizinischen Sinn gemeint ist, sagen wir das Virus – Neutrum. Wenn wir es jedoch mit Viren zu tun haben, die einen Computer befallen, dann sagen wir der Virus – Maskulinum.
Insofern hält jetzt wohl eher das Virus die Welt in Atem.
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