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AutorenbildJelena Martinelli

«Beamtisch» enträtseln mit ChatGPT

Wer mich kennt, weiss, dass ich bei Behördenschreiben Zuckungen bekomme – weil sie in einer Sprache verfasst sind, die man «Amtsdeutsch» oder «Beamtisch» nennen könnte. Normales Deutsch ist es jedenfalls nicht.


Kürzlich fragte mich ein Bekannter aus Serbien, ob ich ihm ein Steuerdokument an seinen pensionierten Vater ins Serbische übersetzen könne. Der alte Mann hatte als Gastarbeiter auf dem Bau gearbeitet und bezieht jetzt eine Rente aus dem deutschsprachigen Ausland.


Allein der Gedanke löste ein Zucken in meinem linken Augenlid aus.


«Klar», sagte ich. «Schick mir das Schreiben.»


Mein Bekannter schickte ein Foto – darauf war etwas zu sehen, das den Verdacht aufkommen liess, es sei mit einer Schreibmaschine getippt worden. Es war der Brief vom «Rentenversicherungsträger».


Ein Block von dreizehn Zeilen leitete den Brief ein, der Wörter wie «Rentenbezugsmitteilungsverfahren» enthielt, und mit den Worten «die Höhe der vom Rentenversicherungsträger aus der Rente einbehaltenen Beitragsanteile» verabschiedete sich der Schreiber wieder von seinem Leser.


Meine beiden Augenlider flatterten. Wie soll man so eine Art zu schreiben nennen? Nominalstil? Folter?


Zum Glück leben wir nun aber im Zeitalter der künstlichen Intelligenz.

Ich tat also Folgendes: Foto auf ChatGPT hochladen und die KI bitten, den Text zu extrahieren.


Das tat ChatGPT erstaunlich gut. Wörter und Zeilen, die die Maschine nicht verstand, interpretierte sie einfach. Teilweise kam zwar ein Kauderwelsch dabei heraus. Aber es half mir trotzdem, meinen ersten Widerstand gegen die Riesenarbeit, die ich vor mir sah, zu überwinden. Den Rest schrieb ich händisch ab.


Anschliessend bat ich ChatGPT, den Text ins Serbische zu übersetzen.


Auch das tat die KI, so gut sie konnte – aber gell, gegen «Beamtisch» ist kein Kraut gewachsen und der Brief klang übersetzt genauso unverständlich wie in der Originalsprache. Hätte ich nun einfach den serbischen Text an meinen Bekannten geschickt – sein Vater und er wären so schlau gewesen wie zuvor.


Aber ChatGPT ist ein Menschenfreund, auch wenn viele Texter und Übersetzer vor ihm zittern. Und so fragte ich die KI:


«Jetzt erkläre bitte einem pensionierten Gastarbeiter, der sich nicht mit Gesetzen und Verordnungen auskennt, was das Schreiben für ihn bedeutet und was er unternehmen muss.»


Sehr gerne, antwortete ChatGPT in fliessendem Serbisch und erklärte – verständlich, freundlich und ohne Spur von jener menschlichen Arroganz, die in solchen Situationen nur zu oft zum Vorschein kommt – einem alten Gastarbeiter, der sein ganzes Arbeitsleben auf dem Bau verbracht hat, was Sache ist.


Fazit:

Die Menschen, die am wenigsten wahrscheinlich KI im Alltag einsetzen werden, würden am meisten von ihr profitieren. Wir sollten anfangen, sie ihnen nahezubringen.



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